Stage Night Special

Paul Lapp (Promo)

Paul Lapp Forum

Di, 4. Oktober 2016 · 20.30 Uhr · Liveclub Telegraph, Leipzig · 40. Leipziger Jazztage

 

In Leipzig geht die Sonne am 21. April dieses Jahres leuchtend unter. Am Südplatz pocht das Leben mit neuer Energie durch die Straßen – langsam muss der Winter der Hoffnung auf warme Tage weichen. Rennräder rasen über die generalüberholte Aorta der Stadt. Der Traum Neu-Berlins weht verloren über die Kreuzung, auf der nicht genug Menschen unterwegs sind für die hektisch gedrängte Stimmung einer Metropole. Betroffen diskutiert man beim Abendessen auf der Straße den tragischen Tod der Popikone Prince, während sich verheißungsvoll eine leuchtende Reklametafel über den Eingang der naTo spannt und trotzig einen Hauch New Yorker Broadway-Charms versprüht. Leise hört man das Echo einer ehemals amerikanischen Musik, die seit geraumer Zeit in Europa Fuß gefasst hat.

Der Lifestyle des Jazz hat Hochkonjunktur. Einem Virus gleich hat er vor allem bei jungen Leuten um sich gegriffen. Die Geschichte dieser Subkultur, die schon in ihren Kinderschuhen in die großen kulturellen Institutionen drängte, ist wieder total angesagt. Die Jazzmusiker wollten und wollen immer noch gehört und kulturell akzeptiert werden. Gerade deshalb passt diese Musik zu einer jungen Generation, die von Individualismus und Selbstverwirklichung träumt. Manchmal vergessen die Hipster von heute dabei, dass ihre Vorbilder schon Generationen älter sind, als sie es gern wahrhaben wollen. Denn jede Wiederholung muss sich ihre eigene Beudeutung erstreiten. Gerade hier beginnt die Geschichte der Band »Forum« von Paul Lapp.

 

Jener 21. April markiert das offizielle Ende von Paul Lapps Jazz-Kontrabass-Studium an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Er gehört zu den jungen Musikern, die dank dem institutionell etablierten Studium technisch bestens ausgebildet sind und die doch nach einem neuen Selbstverständnis suchen. Vielleicht kann man treffend sagen, dass sich alle die Zähne ausbeißen an einer Tradition, die weißen Mittelstands-Kids nicht so einfach zugänglich ist. Aber ist es überhaupt sinnvoll, in einer globalisierten Welt um ein kulturelles Erbe zu kämpfen? Zumal gerade das Erbe des Jazz in sich inkonsistent ist und paradoxe Forderungen stellt. Scheinbar unvereinbar stehen sich Respekt vor der Tradition und die Forderung nach radikaler Erneuerung gegenüber. Das ist das unsichtbare Kraftfeld, in dem sich Paul Lapps »Forum« an diesem Abend auf der Bühne der naTo bewegt. Und es wird ein wilder Tanz.

 

Paul Lapp hat sein Forum gegründet. Er hat sechs Kompositionen geschrieben, die zur musikalischen Diskussionsvorlage werden. Sein Bassspiel ist großartig unaufgeregt, aber andererseits greift er manchmal auch solistisch ins Geschehen ein. Es ist eine Freude zu hören, wie er die Musik zusammenhält. Im Scheinwerferlicht der naTo steht er zwischen zwei Schlagzeugen, den Beatgeneratoren, die mit ihm gemeinsam die Forum-Ausdrucksmaschine in Gang bringen. Gemeinsam mit Hans Otto an seiner Linken haucht er der Musik Leben ein. Unaufhörlich brodelt es in Hans’ Schlagzeugspiel, auch wenn die Oberfläche ganz ruhig wirkt. Nicht alle Ausbrüche sind bis ins Letzte kontrolliert, aber zu einem großen Teil lebt dieses Konzert von der Energie, die sich aus dieser Keimzelle speist. Philipp Scholz wirbelt schon Jahre durch die Leipziger Szene. Früher hat er mit seiner überbordenden Spielfreude manchmal andere Mitmusiker überdeckt. Jetzt hat sein souveränes Spiel an mancher Stelle Zurückhaltung gewonnen und damit kommen seine vielen poetischen Gesten voll zur Geltung. Sicherlich gehört er zu den aufmerksamsten und interaktivsten Schlagzeugern der deutschen Szene. In den besten Momenten ist man unsicher, welcher der beiden Schlagzeuger welchen Klang erzeugt und diese unheimliche Verdopplung setzt sich am rechten Rand des Halbkreises fort.

Denn auch Philipp Sebening am Altsaxophon und Jan Kaiser an der Trompete gleichen den Klang ihrer Instrumente manchmal so weit an, dass die zahlreichen Unisonolinien verschwimmen. Dann wieder fasern sie auseinander. Ihre Spielweise nimmt Anleihen bei der Charles Mingus Band. Jan Kaiser hat in Dresden bei Till Brönner studiert. Sein Spiel ist hörbar aus dieser Tradition gespeist und der Kontrast zu Philipp Sebenings Spiel ist reizvoll. Das Saxophon klingt oft viel suchender als die starken Bluesphrasen der Trompete. Manchmal droht Philipp Sebening ein bisschen unterzugehen, in anderen Momenten aber entfaltet sich sein Ton voll und glanzvoll. Hier lässt er mit beeindruckender Leichtigkeit seine Virtuosität und Spielfreude durchscheinen.

 

Zur Linken sitze ich am Flügel. Zunächst stecke ich den harmonischen Rahmen ab, in dem sich die Kompositionen entwickeln können, bemühe mich, für die Mitspieler die richtigen Farben zu finden, das richtige Energieniveau zu treffen, damit die Spannungsbögen aufgehen. Mich selbst erinnere ich dabei vielleicht ein bisschen zu sehr an meinen Professor Michael Wollny. Auf der anderen Seite versuche ich meiner eigenständigen lyrischen Klarheit zu vertrauen.

Die Musik fordert heraus, denn die Kompositionen provozieren die Hörerwartungen. Die meisten Klischees werden bewusst vermieden und diese Vermeidungsstrategie macht das Konzert sehr eigenständig. Gleichwohl spürt man den Respekt der Musiker für die Geschichte, aus der sie ihre Kunst speisen. Letztendlich ist das Ganze ein ernst gemeinter Kommentar zur Gegenwart. In den freien Solopassagen kann man erleben, was funktionierende Schwarmintelligenz in der Praxis zustande bringt. Vor allem kann das Forum wunderbar energetisch kochen. Und zurück bleibt das Gefühl, dass sich die Musiker glücklicherweise nicht ständig mit Zweifeln herumschlagen. Sicher wird auch der Abend im Rahmen der 40. Leipziger Jazztage keine Wiederholung. Denn wenn eine philosophisch platte Tatsache zum Jazz gehört, dann diese: Leben heißt Veränderung. Und ja, der Jazz lebt immer noch.

 

www.leipziger-jazztage.de · www.paullapp.com